Geschrieben am 24. November 2008 von für Litmag, Neuer Wort Schatz I

Neuer Wort Schatz (13): Björn Kuhligk

Handkamera

Björn Kuhligk

Hausach. Die Eisenbahnstraße

Hausach. Die Eisenbahnstraße

Einmal im Herbst
waren die Hügel
eigenwillige Tierrücken

jemand wie ich ging vorsichtig
die Hände in den Taschen
zu keiner Bitte bereit

Die kleine Stadt Hausach (5 800 Einwohner) liegt im Schwarzwald, genauer gesagt in der Ortenau, am Fluss Kinzig. Die Eisenbahnstraße kann man bei Google Earth betrachten. Quer über das Bild ziehen sich die Gleise, parallel dazu verläuft die Eisenbahnstraße, die geradewegs auf eine pompöse Kleeblattkreuzung zuführt. Wer in Hausach mit dem Zug ankommt und aus dem Bahnhof tritt, hat den nächsten Verkehrsstrang direkt vor sich, und wohl dem, der in ein Taxi steigen kann und diese Kilometer nicht ablaufen muss.

Ort und Straße: erste Markierungen im semantischen Raum des Gedichts, und dass die Überschrift sie so genau benennt, legt nahe, dass es auf die Eigenheit der Lokalität ankäme. Die erste Strophe aber zeigt eine andere Richtung an, die des Erzählens. „Einmal“: ein Märchenanfang. Der „Herbst“: buntgesprenkelte Jahreszeit. „Herbst“ und „Hügel“ passen zusammen, nicht nur der Alliteration wegen, und das Bild der „Tierrücken“ passt zu beiden. Große, gefleckte Tiere in Ruhestellung, die ihre Pfoten bis in die Stadt ausstrecken. Das ‚eigenwillig‘ bringt ein bisschen Unsicherheit, wirkt auch abweisend. Diese Tiere ruhen in sich, der Betrachter / Sprecher wird nichts gegen sie ausrichten können, zumal er auf Wurmgröße schrumpft im Vergleich zu ihnen. Das poetische Bild (sehr viel schöner als das Bildschirmbild) durchzittert schon ein Haarriss.

Mit den ersten Worten der zweiten Strophe wird der Riss schmerzhaft, denn nun geht er mitten durch die Person. „jemand wie ich“ – da rückt einer von sich ab, erkennt sich zwar, will aber nicht Ich sagen. Vorsichtig geht er, als drohe Gefahr, ballt vielleicht „die Hände in den Taschen“ zur Faust und sammelt in sich allen Trotz, allen Widerstand, den er aufbieten kann. So nicht! Nicht mit mir! Niemals!

Aber um was gälte es denn zu bitten? Wer wohnt in Hausach und hat Macht? Ist der Sprecher auf dem Weg dahin? Oder kommt er gerade daher? Wie auch immer, der Gang durch die Eisenbahnstraße zu Hausach kann keine Idylle sein, nach allem, was man auf dem Bildschirm sieht. Glücklicherweise gehört er für das Ich der Vergangenheit an, vielleicht der fernen.

„Einmal im Herbst“, das klingt wie: vor Jahren, lange her, aber ich weiß es noch gut. Ein Kind, das die Lippen zusammenpresste. Ein junger Mann, der nicht um Entschuldigung bitten wollte oder um Liebe (‚lieber beiß ich mir die Zunge ab‘ sagt man wohl ohne nachzudenken). Unnachgiebig. Aufrecht. Die Hände in den Taschen vergraben, um sie bloß nicht auszustrecken, sich bloß nichts zu vergeben. Kein wütendes Voranstürmen, sondern „vorsichtig“ ging er, leise, vielleicht im Bewusstsein, dass etwas endet. Gerade angekommen, in Gedanken schon am Ziel, wo die Auseinandersetzung wartet. Oder auf dem langen Weg zurück zum Bahnhof, um Hausach zu verlassen, vielleicht für immer. Und beschäftigt mit seinem Eigenwillen, zu dem ihn die Hügel insgeheim ermutigen.

Björn Kuhligk ist in Berlin geboren und lebt dort. Krass erscheint die Stadt in seinen Texten, abgeschrammt, voller Extreme, was Menschen und Szenerien betrifft. Sie füllt seine Gedichte sozusagen zum Bersten und reizt den Autor zu deutlichen Worten. Hier hingegen: Andeutung, Rätsel. Leise gesprochen, wie nebenbei, und doch so, dass man es nicht vergisst. Aus welcher Stimmung heraus (Reue? Verwunderung? Nachdenklichkeit über das, was die Zeit mit einem macht?), bleibt offen. Jedenfalls: Nicht ‚Großes Kino‘, sondern kleine Leinwand und Handkamera. Angerissene Bilder aus einem früheren Leben, wie sie jeder mit sich herumschleppt, verwischt und scharf.

Gisela Trahms

Zu Neuer Wort Schatz (14): Katrin Marie Merten

Zu Neuer Wort Schatz (12): Heinz Czechowski


Das Gedicht ist zu finden in:

Björn Kuhligk
Großes Kino
Berlin Verlag
Berlin 2005