Geschrieben am 11. November 2010 von für Bücher, Litmag

Daniele Mastrogiacomo: Tage der Angst

Vorenthaltene Geschichten:

Daniele Mastrogiacomo eindrucksvolle Reportage „Tage der Angst“, in der er von seiner Entführung durch die Taliban erzählt, zeigt erneut, warum unabhängiger Journalismus so wichtig und unersetzlich ist. Von Carl Wilhelm Macke

Zu den spektakulärsten Entführungen von Journalisten im letzten Jahrzehnt gehört das Schicksal von Daniel Pearl im Jahre 2002. Über ihren Mann und die entsetzlichen Details seiner Hinrichtung im pakistanischen Karatschi hat seine Frau ein herzzerreißendes Buch geschrieben. Und ebenso bewegend war dann die Jahre später gedrehte Verfilmung des Buches mit Bratt Pitt als Regisseur und Angelina Jolie  in der Rolle von Marianne, der Frau von Daniel Pearl. Doch trotz eines riesigen Medienrummels (Pitt & Jolie!) für Buch und Film ist eigentlich nichts Bemerkenswertes von ihnen in Erinnerung geblieben. Daniel Pearl hatte eine schöne Frau, die dann von der ebenfalls schönen Jolie in einem mit allen gängigen Hollywood-Effekten aufgemotzten Film dargestellt wurde. War da sonst noch etwas?

Daniel Pearl

Ja, vielleicht das in irgendeiner amerikanischen Zeitung veröffentlichte Gespräch mit dem Schauspieler Dan Zuckermann, der in dem Film die Rolle von Daniel Pearl übernommen hat. Was Zuckermann da über die Aufgaben eines Journalisten in Kriegs- und Krisenregionen sagt, ist es wirklich wert, dass es Buch und Film überdauert. „Es ist natürlich besonders tragisch, wenn Journalisten getötet oder sogar bewusst ins Visier genommen werden.  Doch ist dieser Berufsstand der Garant dafür, dass all die Geschichten erzählt werden, die sonst unbekannt bleiben würden. Es wäre doch schlimm, wenn wir uns nur auf das verlassen müssten, was uns unsere Regierung erzählt!“ Besser kann man es nicht sagen, warum der unabhängige Journalismus so wichtig ist und warum gut geschriebene Reportagen auch im Zeitalter von Twitter und Facebook ihren eigenen, unersetzlichen Stellenwert behalten (müssen).

Entführung im Frühjahr 2007

Journalisten wie Daniel Pearl oder Jahre vorher der in Kroatien erschossene Egon Scotland von der Süddeutschen Zeitung – und viele andere im Beruf ermordete Journalisten – gehörten zu den besten Repräsentanten dieser Reportergeneration, von denen wir viel über die Welt erfahren haben. Auch der Italiener Daniele Mastrogiacomo gehört zu ihnen, und dass wir von ihm nicht in der Vergangenheitsform schreiben müssen, ist ein großes Glück für ihn, seine Angehörigen, seine Kollegen und seine Freunde.

Mastrogiacomo, geboren im pakistanischen Karatschi, gehört seit Jahren zu den erfahrensten Auslandsreportern der Tageszeitung La Repubblica.  Und um sich in den Grenzregionen zwischen Afghanistan und Pakistan zu bewegen, bedarf es auch weniger Mut als Wissen, um die besondere Mentalität der dort lebenden Menschen zu verstehen. Mastrogiacomo besaß dieses Feingefühl gegenüber den Menschen, viel journalistische Erfahrung und ein solides historisches Wissen um die Hintergründe der Konflikte in dieser Region. Und trotzdem wurde er zusammen mit zwei afghanischen Mitarbeitern im März 2007 von einer Taliban-Gruppe entführt. Sehr rasch bemerkte er, dass es sich nicht „nur“ um eine Tat handelte, mit der die Entführer lediglich Geld erpressen oder die Freilassung inhaftierter anderer Talibani erzwingen wollten. Mastrogiacomo und seine beiden Mitarbeiter wurden der Spionage und der Zusammenarbeit mit den verhassten Amerikanern und Engländern bezichtigt. Dass die ständigen Todesdrohungen ernsthaft waren, zeigten schon die ständigen Torturen, denen die drei ausgesetzt waren.  In seinen zwei Jahre später in Italien und jetzt auch in Deutschland veröffentlichten Aufzeichnungen hat Mastrogiacomo die erlebten Tage in einer Gruppe zu allem entschlossener Entführer mit großer Genauigkeit rekonstruiert. Manche Passagen, etwa über die Umstände einer Auspeitschung, sind mit einer so eiskalten Direktheit beschrieben, dass man das Buch lieber nicht weiterlesen möchte. „Ich bitte meinen Gott, mir neue Verhöre zu ersparen. Ich bin bereit, noch viele Tage Gefangenschaft zu ertragen, aber die Vorstellung, Folter und Erniedrigungen ausgesetzt zu sein, macht mir Angst.“

Genau und authentisch rekonstruiert

Daniele Mastrogiacomo

Die Formulierung ist vielleicht etwas unangebracht, ich weiß, aber Mastrogiacomo schreibt so unglaublich klar und authentisch, dass man sich als Leser manchmal wirklich in unmittelbarer Nähe der Entführten glaubt. Bernardo Valli, einer der ganz großen italienischen Reporterlegenden des 20. Jahrhunderts, schreibt es ähnlich in seinem Vorwort: „Wenn Mastrogiacomo die Peitschenhiebe beschreibt, die ihm die Taliban zufügten, dann fühlen wir die Peitsche auf seiner Haut. Er läßt sie uns auf unserer eigenen Haut spüren.“ Und dann zum Schluss dieser Chronik einer erzwungenen Reise in das Grauen erfahren wir auch noch von dem geretteten Daniele Mastrogiacomo, dass es seine zwei Mitarbeiter, der Übersetzer Adjmal Nashkbandi und der Chauffeur Sayed Haga, es nicht geschafft hätten, die Entführung zu überleben. Die Umstände des Todes von Adjmal waren genauso barbarisch wie die von Daniel Pearl. Beide wurden enthauptet. Der Preis dafür, dass man als Journalist Geschichten erzählen will, die uns unsere Regierungen vorenthalten, kann manchmal hoch sein, entsetzlich hoch.

Carl Wilhelm Macke

Daniele Mastrogiacomo: Tage der Angst. Entführt von den Taliban. Aus dem Italienischen von Judith Elze. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2010. 200 Seiten. 17,95 Euro